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5.4 Leittext: Arbeiten mit den Studientexten

Autor: Johannes Busse

,,Arbeiten mit den Studientexten'' - die meisten Leser würden hierbei verstehen: ihre Inhalte zu (er-)lernen. Im vorliegenden Text wollen wir sie zunächst davor warnen, dies zu tun, und dann gleitend zu den Tipps überzugehen, wie Sie Lernen effektiv und für Sie nützlich gestalten können. Genießen Sie unsere Tipps also mit Vorsicht.

,,Arbeiten mit den Studientexten'' - darunter verstehen wir vor Allem, dass Sie sich mit einem Thema auseinandersetzen und nicht, dass Sie seine Inhalte ,,büffeln'' sollen. Unsere Studientexte wollen zu dieser Auseinandersetzung zwar einen Baustein liefern, jedoch keineswegs die zentrale und (an-)leitende Rolle beanspruchen. Viel wichtiger ist es uns, dass Sie sich klar darüber werden, was ein Thema Ihnen ,,bringen'' kann (was streng genommen eine Holschuld von Ihnen ist), und dass Sie die Arbeit an einem Thema mit anderen Lernern gemeinsam angehen. Beides ist nicht möglich, wenn man Inhalte nur (er-)lernt.


Vorarbeiten: Selbst Fragen stellen.
Falls Sie sich in der Auseinandersetzung mit einer Thematik noch etwas orientieren wollen, versuchen sie herauszubekommen, auf welche Fragen ein Text eine Antwort liefert - oder welche Fragen der Text überhaupt neu stellt. Manche Texte wollen überhaupt keine Antworten liefern, sondern im Gegenteil Zweifel hervorrufen: Ist dies und das tatsächlich so, wie es zu sein scheint? Denn oft ist es erst der Zweifel, aus dem neue Fragen entstehen und der neue Erkenntnisse zulässt. Wenn Sie genau wissen, was Sie sich von einem Studientext erwarten, formulieren Sie explizite Fragen an den Text, und versuchen Sie, diese zielstrebig zu erarbeiten.

Auch falls Sie zu der Meinung gekommen sind, dass Sie sich mit einem Text genauer auseinandersetzen wollen, fangen Sie nicht gleich an, ihn von vorne bis hinten durchzulesen. Orientieren Sie sich statt dessen zunächst im Text (siehe Leittext ,,Texte richtig lesen''). Setzen Sie Schwerpunkte und Präferenzen. Gehen Sie erst dann intensiver auf ausgewählte Details ein.


Annotationen am Rand.
Wir haben unsere Studientexte mit einem breiten Rand ausgestattet: der ist für Sie da! Das Arbeiten mit einem Studientext besteht darin, dass Sie den Text durch Anstreichungen sowie eigene Randbemerkungen (Annotationen) für sich fruchtbar machen.

Inhaltliche Annotationen fassen im Idealfall den Text am Rand ganz knapp zusammen: Wichtige Stichworte oder Definitionen sind leicht wiederzufinden, kommentierte Querbezüge zu anderen Textteilen stellen Zusammenhänge her oder decken Widersprüche auf. Visualisierungen und wilde Zeichnungen beziehen die ,,nonverbale'' Gehirnhälfte in das (jetzt gar nicht mehr so) abstrakte Denken ein. Nicht zuletzt lassen sich Texte mit MindMaps und verwandten Techniken strukturieren - der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.

Mit formalen Annotationen rekonstruiert man Strukturen eines Textes. Üblich sind hier Kürzel wie Def., Bsp. oder Markierungszeichen wie || und andere. Ich selbst als Autor verwende, wenn ich mich (zum Beispiel für Zitate) auf Textteile beziehen will, Randmarkierungen der Form #x.y (mit y: lfd.Nr. der Anmerkung auf der Seite x), und als Platzhalter für ausführlichere Anmerkungen Randmarkierungen der Form *x.y. Kleine Blitze zeigen an, wo ich mit einem Text nicht einverstanden bin, Fragezeichen kennzeichnen Fragen und Ausrufezeichen überraschende Einsichten.

Wir empfehlen Ihnen dringend, sich mit kreativen Annotationen nicht zurückzuhalten. Erst so kann aus dem eher passiven, rezeptiven Lesen eines Textes eine aktive, individuelle und fruchtbare Angelegenheit für Sie werden. Ob Sie sich hierzu an Lernstrategiebüchern orientieren oder selbst erfinderisch tätig sind, spielt keine Rolle - Hauptsache, Sie werden selbst aktiv!


Bearbeiten Sie die Aufgaben der Studientexte.
Unsere Studientexte enthalten Aufgaben für Sie. Zum Teil ermöglichen sie Ihnen eine Selbstkontrolle: Oft hat man etwas erst dann richtig verstanden, wenn man es mit eigenen Worten erklären kann. Andere Fragen stellen Aufgaben, die über die von uns dargestellten Inhalte hinausweisen. Solche Aufgaben können Sie als Vorschlag verstehen, die Bearbeitung unserer Texte sowohl durch andere Texte als auch durch andere Arbeitsformen zu ergänzen.

Fast immer haben wir uns bemüht, ,,offene'' Fragen zu stellen, Fragen also, auf die es kein eindeutiges Richtig oder Falsch gibt. Solche Fragen halten wir für spannender, für fruchtbarer und, last but not least, der komplexen Wirklichkeit, auf die wir mit unseren Fragen abzielen, letztlich für angemessener.

Damit sind wir auch wieder beim Anfang dieses Textes angekommen: Wenn Sie sich ernsthaft mit einem Thema auseinandersetzen wollen, halten wir Techniken zur Text-Aneignung zwar für hilfreich, jedoch keineswegs für ausreichend für echten Erkenntnis- und Lustgewinn.

Unsere Idealvorstellung wäre die: Suchen Sie sich Mitstreiter, mit denen Sie sich über ein Thema auseinandersetzen können, und bearbeiten und diskutieren Sie dazugehörige Texte (oder besser einen unserer Studientexte) gemeinsam. Ideal wäre es, wenn Sie selbst einen Workshop zu Ihrem Thema organisieren wollten, aber auch ein Seminar an der Hochschule oder eine Weiterbildungsmaßnahme sind dafür geeignet.


Aufgaben:

(1) Welche Schritte empfehlen wir zur Arbeit mit einem Text? Formulieren Sie Ihre Antwort in eigenen Worten.

(2) Bearbeiten Sie den vorliegenden Text gemäß den Tipps, die er selbst gibt!

(3) Blättern Sie in Ihrer Buchhandlung in der reichhaltigen sogenannten Ratgeberliteratur zum Thema ,,Lernen Lernen''. Wie viele Bücher geben konkret auf die Fragen, die Sie nach der Lektüre unseres Textes haben, klare und nichttriviale Auskunft?

(4) Kritisieren Sie unseren Text.

Leittext aus: J.Busse: Dozentenhandbuch zu ,,Tübinger Studientexte Informatik und Gesellschaft''. © WSI, Universität Tübingen 1999. Alle Rechte vorbehalten. Dieser Text ist auch erhältlich unter http://www-pu.informatik.uni-tuebingen.de/iug/dh/Leittexte.html


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Johannes Busse, August 10, 1999