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5.5 Leittext: Der 1000-Worte-Essay

Autor: Johannes Busse If you have time,
say it short

Mit einem 1000-Wort-Essay üben Sie, auf begrenztem Raum zielgruppengerecht eine Argumentation zu entwickeln. Interpretieren Sie die formalen Randbedingungen als Spiel: Stellen Sie sich vor, sie wollen in einer kurz bemessenen ,,Sendezeit'' möglichst wirksam möglichst viel Inhalt an ihre Leser (oder Zuhörer) herantragen. Sie benötigen diese Fähigkeit, wenn Sie

kurz: überall dort, wo Sie nicht endlos Zeit haben, sich Gehör zu verschaffen.

Das ,,Darumherum''
Titel des Essays, Datum, Korrespondenzanschrift des Autors. Dann der eigentliche Essay, angemessen strukturiert durch Absätze (üblich sind etwa 50-100 Worte), möglicherweise auch Überschriften (höchstens eine Überschriften-Ebene). Nur wenige Literaturhinweise: Da Sie im Allgemeinen in dem Essay eigene Gedanken entwickeln und darstellen wollen, wird der Anteil an zitierter oder referierter Literatur sehr gering sein.

Umfang
Abweichung vom vorgegebenen Umfang maximal 10Prozent. Das ,,Darumherum'' wird nicht mitgezählt!


Planung des Essays:
Einem Essay gehen immer Phasen der Ideenfindung, Recherche und inhaltlichen Auseinandersetzung voraus. An dem Punkt, an dem Sie glauben, etwas klar und deutlich verstanden zu haben, beginnt der eigentliche Schreibprozess. Einem guten Ergebnis dienen folgende Schritte:

Allgemeine Idee und Anliegen fixieren
Machen Sie sich klar: Will ich einen Sachverhalt erklären? Will ich Lösungen präsentieren? Will ich eine (nicht tautologische) Argumentation verständlich machen? Will ich Problembewusstsein wecken? Will ich zur weiteren Beschäftigung mit einem Thema anregen?

Zielpunkt ihrer konkreten Argumentation
Vergegenwärtigen Sie sich:

Was sind Ziel, Botschaft oder Appell Ihres Textes? Formulieren Sie für sich eine schriftliche Antwort. Diese wird Zielpunkt und Schlusssatz Ihres Textes werden!

Auf welche Frage gibt Ihr Text eine Antwort? Gemäß dem Philosophen Hans-Georg Gadamer hat man einen Text erst dann verstanden, wenn man weiß, auf welche Frage er eine Antwort gibt. Das gilt auch für eigene Texte!

Strukturen der Inhalte
Wählen Sie jetzt aus Ihrem Wissensschatz das Wissen aus, das für Ihre Ziele, Ihre Adressaten und den Kontext wichtig ist. Strukturieren Sie ihre Inhalte nach sachlichen Gesichtspunkten:

Bestimmen Sie, auf was Sie sich argumentativ stützen wollen: Theorien, Beispiele, Methoden, Autoritäten - oder auch ,,nur'' den gesunden Menschenverstand.

Gliederung
Bestimmen Sie für Ihre Inhalte eine sinnvolle, an Ihre konkreten Adressaten gerichtete Reihenfolge:

Sprache und Stil
Entscheiden Sie sich für einen durchgängigen Stil, der sowohl Ihren Adressaten als auch dem Kontext Ihres Textes angemessen ist. Ein typisches Ziel wissenschaftlicher Artikel ist zum Beispiel Reputation - entsprechend müssen Sie in einem solchen Text auch beweisen, dass Sie die einschlägigen Sprachspiele beherrschen.


Realisierung des Essays.
Während der vorhergehenden Planungsphase haben Sie Skizzen, Graphen, Stichwortlisten und Vieles mehr zu Papier gebracht - nur nicht ihren eigentlichen (Fließ-)Text. Fangen Sie erst jetzt zu schreiben an, und auch nur dann, wenn Sie ausgeruht sind und Ihr Geist frei ist.


Revision.
Lassen Sie den Text einige Tage liegen. Gehen Sie ihn dann noch einmal durch und überlegen Sie sich: Welche Begriffe könnte der Leser missverstehen? Was muss der Leser wissen, um mich hier zu verstehen? Wo könnte ich Fremdworte durch gängigere Worte ersetzen? Korrigieren Sie Tippfehler, verbessern Sie einzelne Formulierungen. Aber ,,pfuschen'' Sie nicht an Ihrem Text herum. Wenn Sie einzelne frühe Schritte korrigieren oder wiederholen müssen, wird sich dies auch auf die nachfolgenden Schritte auswirken.

Bitten Sie einen Freund um eine ehrliche Rückmeldung zu ihrem Text. Schreiben Sie Ihren Text notfalls neu. Trösten Sie sich: wirklich gute Artikel oder Lehrbücher (und auch Software!) wurden fast immer mehrmals völlig neu konzipiert und geschrieben.

Leittext aus: J.Busse: Dozentenhandbuch zu ,,Tübinger Studientexte Informatik und Gesellschaft''. © WSI, Universität Tübingen 1999. Alle Rechte vorbehalten. Dieser Text ist auch erhältlich unter http://www-pu.informatik.uni-tuebingen.de/iug/dh/Leittexte.html


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Johannes Busse, August 10, 1999